Sensibilisierungskampagnen der Gewerkschaften
Gewalt gegen Verkehrspersonal – ein Problem in ganz Europa

Auch in anderen Ländern kämpfen Gewerkschaften des Verkehrspersonals wie der SEV mit Sensibilisierungskampagnen und Protestaktionen gegen gewaltsame Übergriffe und sonstige Aggressionen auf das Personal im öffentlichen Verkehr. Denn diese Übergriffe sind nicht nur in der Schweiz ein grosses Problem, sondern in ganz Europa. Sie haben während der Covidpandemie zugenommen und stagnieren seither auf einem hohen Niveau.
«Stoppt Aggressionen gegen Buschauffeure – wir haben die letzte Haltestelle erreicht» steht auf einem Flyer (siehe Bild), den die belgische Gewerkschaft des Verkehrspersonals ABVV/BTB den Reisenden verteilt. Der gleiche Spruch steht auf Armbändern, die vom Buspersonal getragen werden. 2023 wurden in Belgien über 2000 Übergriffe registriert, 2024 sollen sie laut Schätzungen noch höher liegen. Gewerkschaftssekretär Tom Peeters fordert mehr Kontrolleurinnen und Kontrolleure sowie schnellere Einsätze der Polizei. Überwachungskameras und gesicherte Führerkabinen allein genügten nicht. Zudem sagt er, dass Städte und Gemeinden mehr Verantwortung übernehmen müssen, z.B. indem sie in Problemquartieren vermehrt auf Nachbarschaftshilfe setzen. Auch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Problem müsse stärker angegangen werden, verlangt die Gewerkschaft.
«Wer für unsere Gesellschaft im Einsatz ist, verdient keine Angriffe, sondern Respekt! Die immer häufiger auftretende Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst und privatisierten Sektor muss ein Ende haben», fordert Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der DGB hat die Initiative «Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch» gestartet, mit klaren Forderungen: ein öffentlicher Bewusstseinswandel, Personalaufbau und Ausstattung, Schulungen und Gesundheitsmanagement, Führungskräfte sensibilisieren, mehr Investitionen und verlässliche Zahlen. Zwei Drittel der Angestellten im öffentlichen und privatisierten Sektor wurden gemäss einer Umfrage Opfer verbaler oder physischer Gewalt.
Von der Sensibilisierungskampagne bis zum Streik
In den Niederlanden stand vor einem Jahr fast der ganze öffentliche Verkehr während drei Minuten still. Das war die Reaktion auf einen Gewaltvorfall in einem Zug. Eine Kundenbegleiterin wurde von einem Jugendlichen vom Zug gestossen und zusammengeschlagen. Die Gewerkschaften riefen zum Warnstreik auf, um die Bevölkerung aufzuschrecken. Auch in den Niederlanden wird eine Zunahme von Übergriffen auf das Verkehrspersonal registriert.
Bei der europäischen Transportarbeiterföderation ETF ist man sich bewusst, dass die wachsende Zahl an gewaltsamen Übergriffen ein gesamteuropäisches Problem ist. «Ein Höhepunkt an Übergriffen passierte während der Covidpandemie, als das Personal bei den Fahrgästen die Maskenpflicht durchsetzen und QR-Codes kontrollieren musste. Danach ist die Anzahl Gewaltvorfälle auf hohem Niveau stecken geblieben», sagt Jedde Hollewijn von der ETF. Schon 2003 haben die europäischen Sozialpartner im urbanen öffentlichen Verkehr eine gemeinsame Erklärung abgegeben, wie man Gewalt gegenüber dem Personal verhindern und für mehr Sicherheit sorgen soll. Im Januar 2020 wurde die Erklärung erneuert. 2021 folgte das Abkommen «Women in Rail», das spezifische Massnahmen gegen Gewalt an Frauen im Bahnsektor verlangt. Zudem startete die ETF die Kampagne «Get me home safely» («Bring mich sicher nach Hause»), die Massnahmen für einen sicheren Heimweg des Personals, zum Beispiel nach Spätdienstschichten, fordert.
Inwiefern die Sensibilisierungskampagnen zu einem Umdenken bei den Reisenden geführt haben, lässt sich im Moment nicht sagen. Sicher ist: Gefordert sind auch die Behörden und Unternehmen, mehr Geld in die Sicherheit des Personals zu stecken.
Michael Spahr