| Aktuell / SEV Zeitung, 1. Mai

Impressionen vom 1. Mai 2025

Auch am 1. Mai 2025 war der SEV in der ganzen Schweiz präsent. Unter dem Motto «Solidarität statt Hetze» und «Stopp Gewalt – mehr Respekt für das Personal» gingen Tausende auf die Strasse.

Der SEV war am 1. Mai in allen grossen Schweizer Städten präsent. In Chur hat SEV-Präsident Matthias Hartwich an der 1. Mai Feier gesprochen und gegen Hetze und Hass aufgerufen. In seiner Rede hat er unter anderem die bekannte Aussage des deutschen Pastors Martin Niemöller aus dem 2. Weltkrieg zitiert: «Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. // Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.// Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. // Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.» In Brugg AG sprach LPV-Zentralpräsidentin Hanny Weissmüller (siehe unten).

Rede von Matthias Hartwich in Chur mit Bildern der Demonstration in Zürich:

1. Mai-Rede von Hanny Weissmüller in Brugg

Die Zentralpräsidentin des SEV-Unterverbands des Lokomotivpersonals erinnerte am Abend in Brugg (AG) daran, dass ohne die grösstenteils unsichtbare, stille Arbeit des Bahnpersonals die Bahn nicht fahren würde. Und dass die SBB bei diesem Personal sparen will bei den laufenden Verhandlungen über die bereichsspezifischen Arbeitszeitregelungen (BAR) für vier Berufskategorien bei der Bahnproduktion des Personenverkehrs. Und was das für die Mitarbeitenden konkret bedeutet. Hier der Redetext:

Herzlichen Dank für die Einladung zum 1. Mai in Brugg. Ich freue mich wirklich sehr, dass ich in meiner alten Heimat an diesem gewerkschaftlichen Tag reden darf. Ich bin effektiv einige Kilometer von hier aufgewachsen und habe die Berufsschule in Brugg absolviert.

Der schweizerische Gewerkschaftsbund hat den 1. Mai-Slogan «Solidarität statt Hetze» und der SEV toppt nach mit dem Slogan «Stopp Gewalt – mehr Respekt für das Personal!». Ich werde heute diese zwei gewerkschaftlichen «Aufschreie» zusammenbringen mittels meiner beruflichen und gewerkschaftlichen Erfahrungen.

Wir befinden uns in der Nähe des Bahnhofs. Wer nimmt regelmässig den Zug? Und wenn ihr im Zug seid, woran denkt ihr? 

  • An die Sitznachbarin, die schöne Schuhe anhat?
  • An den Sitznachbarn, der zu viel Rasierwasser aufgelegt hat?
  • An die Person, die nun wirklich Augenringe hat und offensichtlich schlecht geschlafen hat?
  • Was erwartet mich im Büro? Was erwartet mich zu Hause?
  • Heute Sport Ja/Nein?

Oder denkt ihr an die Person, die den Zug fährt? Wahrscheinlich denkt ihr nur an diese Person, sobald sie ein bisschen «ruckig» anhält – ich nenne das einen «Nicken-Halt» Man nickt da jeweils. Oder ihr denkt an sie, wenn eine Störung eintritt. Da nervt man sich über die Inkompetenz des Lokführers oder der Lokführerin.

Ehrlich gesagt, freue ich mich, wenn ihr nicht an mich denkt. Denn in diesem Fall habe ich schöne und sanfte Halte gemacht, bei denen die Schlafenden weiterschlafen konnten und niemand nicken musste. Ich freue mich auch, wenn mein Arbeitstag störungsfrei verläuft.

Es gibt im Betrieb viele «stille» Mitarbeitende, die von der Bevölkerung nicht wahrgenommen werden. Ich meine hier nicht nur das Lokpersonal sondern auch die Personen, die frühmorgens oder spätabends die Züge rangieren und die Kompositionen zusammenstellen. Ich denke an das Reinigungspersonal, welches nur einige Minuten für einen doppelstöckigen Wagen hat, um diesen zu reinigen und die Toiletten zu säubern, die sich in einem widerlichen Zustand befinden. Fahrdienstleiter, die darauf achten, dass die Züge auf dem äusserst engen Streckennetz am richtigen Ziel ankommen, und noch viele mehr … Dieses «stille» Personal ist da und schaut, dass der Betrieb störungsfrei abläuft und die Kunden oder die Waren sicher und pünktlich ihr Ziel erreichen.

Zurzeit laufen bei der SBB Verhandlungen für die bereichsspezifischen Arbeitszeitregelungen (BAR). Dies sind spezifische Regelungen pro Berufskategorie, welche auch Verbesserungen für das Personal bedeuten. Wir verhandeln für das Reinigungspersonal, das Rangierpersonal, das Zugpersonal und das Lokpersonal. 

Zu Beginn der Verhandlungen liess uns die SBB verlauten, dass gespart werden müsse. Schön, macht das … Ich hätte da viele Ideen! Leider liegen die Ideen der SBB und die meinen kilometerweit auseinander. Die Idee der SBB: mehrere hundert Millionen Franken auf dem Rücken dieses Personals zu sparen und dies mittels (hier eine kleine Auswahl):

  • Dienstblöcken von 12 Stunden (anstelle fixer Diensttouren)
  • Wegfall des arbeitsfreien Sonntags nach Ferien
  • Flexibilisierung der Übergänge nach arbeitsfreien Tagen
  • Erhöhung der durchgehenden Arbeitszeit, z.B. 5 Stunden am Stück fahren statt 4h30
  • Keine Vorgaben mehr zum Zeitrahmen der Pausen für Hauptmahlzeiten
  • Keine bezahlten Pausen über 60 Minuten
  • Lockerung der Einschränkungen bei Nacht- und Frühtouren
  • Aufhebung der Mindestarbeitszeit von 6 Stunden
  • Reduzierung oder andere Handhabung pauschaler Zeitgutschriften

Die SBB möchte ein moderner Arbeitgeber sein und wirbt mit fortschrittlichen Anstellungsbedingungen, unter anderem auch mit der Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit/Familie. Sie ist auch der Meinung, dass die Mitarbeitenden mehr Flexibilität wollen. Wenn ich nun ihre Forderungen ansehe, sind die erwähnten Punkte überhaupt nicht erreicht, eher das Gegenteil: Bei Dienstblöcken von 12 Stunden kann ich meine Freizeit nicht mehr planen. Ich denke, der Wille nach Flexibilität ist nur einseitig, und dies seitens der SBB. Sie verlangen absolute Flexibilität vom Personal. Diese Forderungen zeichnen keinen fortschrittlichen Arbeitgeber aus, wohl eher einen Arbeitgeber, welcher Kosteneinsparungen am falschen Ort durchdrückt. Der gleiche Arbeitgeber, welcher im Bereich der Fläche unter Fachkräftemangel leidet und in den nächsten Jahren einen Drittel des Personals infolge der Baby-Boomer ersetzen muss.

Die "Berner Zeitung" hat berichtet, dass die SBB in den letzten fünf Jahren, seit also Vincent Ducrot CEO ist, im Kanton Bern gegen 1300 Stellen im Informatikbereich geschaffen hat. Ich frage mich, ob diese Investition am richtigen Ort getätigt wurde.

Gleichzeitig beteiligt sich die SBB an einem Projekt von autonom fahrenden Autos. SBB heisst doch Schweizerische Bundesbahnen? Heisst es bald SBT – Schweizerischer Bundestransport?

Die Vergangenheit hatte der SBB schon einmal gezeigt, dass sie sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren sollte, und dies bedeutet Züge führen. Dazu braucht es gut bezahltes und ausgebildetes Personal, welches zu fairen Arbeitsbedingungen eingestellt wird. Gleichzeitig müssen wir vor Aggressionen geschützt werden, denn die Aggressionen gegen das Personal haben seit COVID exponentiell zugenommen.

In diesem Sinne: 

Solidarität statt Hetze – überlegt handeln sowie Verständnis und Akzeptanz zeigen.

Stopp Gewalt – diejenigen, die jeden Tag in Schichtarbeit ihr Bestes geben, verdienen Respekt und Schutz.

Wir brauchen eine Zukunft, wo ein sicheres Arbeitsumfeld, Solidarität und Gewaltfreiheit Norm sind!

Danke für eure Aufmerksamkeit.