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Auf den Spuren von ...

Juan Colomer, Wagenreiniger

©Michael Schoch

Pro Schicht putzen Juan Colomer und seine Kollegen im Bahnhof Zürich dreissig Züge und mehr. Der studierte Philosoph erklärt, warum es ihm nicht viel ausmacht, WC zu putzen, und welchen Erfolg die SBB-Reiniger dank der Gewerkschaft erzielt haben.

Was immer wieder schwierig sei an seinem Beruf, sagt Juan Colomer, seien die Gerüche. «Zum Beispiel Erbrochenes. Am Wochenende kommt das oft vor. Daran kann ich mich nicht gewöhnen, auch nach elf Jahren nicht.» Der 48jährige arbeitet im Hauptbahnhof Zürich als Wagenreiniger bei der SBB. Wie aufwändig er putzen muss, ist vom Fahrplan abhängig. In Zügen, die nicht lange Aufenthalt haben, reicht die Zeit nur fürs Gröbste: «Da nehmen wir Zeitungen und sichtbaren Abfall mit und leeren überfüllte Kübel. Die WC wischen wir kurz ab.»

Ausländische Züge wie TGV oder ICE bleiben dagegen meist rund eine Stunde in Zürich. Dann heisst es zusätzlich staubsaugen, die Tische abwischen und die WC gründlich reinigen. Noch aufwändiger ist die Arbeit in den Nachtdiensten: «Wir schieben die Sitze zurück und klappen alle Armlehnen hoch oder runter.» Hoch oder runter? Juan Colomer lacht und sagt: «Das spielt keine Rolle. Es müssen einfach alle gleich sein.»

Kalte Dusche

Von aussen füllt er zudem bei jedem Zug die Wassertanks der Toiletten wieder auf. Diese Arbeit mache er gar nicht gern, sagt er. Denn je nach Zug passe der Schlauch nicht auf die Öffnung. Wenn du da nicht aufpasst, wirst du pflotschnass.

Manchmal arbeitet er alleine, meist jedoch in Teams von bis zu zwölf Personen. Was immer wieder zu Diskussionen führe: Wer jetzt die WC putzen muss. «Fast alle sagen, sie hätten gestern, heute solle ein anderer.» Er selber mache das nicht ungern, sagt Colomer. Klar, der Anblick sei manchmal unappetitlich. Aber körperlich sei diese Aufgabe leichter als andere. Denn es ist ein harter Job. Beim Einsammeln von Abfall bückt er sich ständig. Beim Staubsaugen geht er regelmässig die weite Strecke zum Depot und zurück, um den Akku zu wechseln.

Schlafprobleme

Was ihm Mühe mache, seien die unregelmässigen Arbeitszeiten. Zwar halte die SBB das Arbeitsgesetz und den GAV ein, «da ist sie strikt». Doch auch mit diesen Regeln sei die Erholungszeit oft kurz. Wenn zum Beispiel ein Dienst bis Mitternacht dauere und der nächste um zehn Uhr morgens anfange, dann seien das zwar zehn Stunden Ruhezeit. «Aber du musst heimfahren, duschen, essen, am Morgen wieder hinfahren … – es wird knapp. Viele von uns haben Schlafprobleme. Ich auch.» Positiv sei dagegen die Planbarkeit: Im Dezember bekomme er jeweils den Einsatzplan fürs ganze nächste Jahr.

Als er 2009 in die Schweiz kam, fand er nur Arbeit als Temporärkraft in der Reinigung. Die Einsätze waren unregelmässig, sein Einkommen auch. Er machte einen Deutschkurs, und nach vier Jahren konnte er fix als Wagenreiniger anfangen. «Das war besser. Ein Vollzeitjob, unbefristet. Aber ich war immer noch vom Temporärbüro angestellt.» Es dauerte drei weitere Jahre, bis ihn die SBB direkt anstellte.

Anders als viele private Unternehmen hat die SBB die Reinigung nicht als Ganzes ausgelagert. Als SBB-Mitarbeiter erhält Colomer ein Generalabonnement, seine Wegzeiten sind bezahlt, und er ist durch den GAV geschützt. Seit ein paar Jahren setze die Bahn immer mehr auf Temporäre, sagt Colomer. Er schätzt, dass sie heute etwa die Hälfte der Reinigerinnen und Reiniger ausmachen. Er schüttelt den Kopf und sagt: «Wir sind zwei Klassen von Mitarbeitenden. Obwohl alle die gleiche Arbeit machen.»

Sein Grundlohn liegt derzeit bei rund 4700 Franken brutto im Monat, plus der dreizehnte Monatslohn. Das sei nicht viel, sagt er, aber dazu kämen noch faire Zulagen: pro Stunde 6 Franken in der Nacht und 16 Franken am Sonntag. Plus pauschal 50 Franken im Monat fürs Reinigen der WC.

Gewerkschaftlicher Erfolg

Diese «Schmutzzulage» hatte die SBB 2019 abschaffen wollen. Doch die Mitarbeitenden wehrten sich, unterstützt vom SEV. «Wir haben Unterschriften gesammelt und Fotos gemacht von verdreckten WC. Damit die Chefs sehen, wie wichtig unsere Arbeit ist», erzählt Juan Colomer. Das wirkte. Rasch willigte die SBB zu Gesprächen ein, und die Zulage, bis dahin pro Stunde ausgezahlt, wurde in die heutige Pauschale umgewandelt. Ein guter Deal: Laut dem SEV zahlt die SBB jetzt in der Summe sogar mehr Zulagen aus als unter dem alten System.

Liebe und Leidenschaft

Geboren und aufgewachsen ist Juan Colomer in Spanien. Dort hat er ein Philosophiestudium abgeschlossen. «Das war meine Leidenschaft», sagt er, «schon in der Schule.» In die Schweiz kam er wegen der Liebe zu einer Frau. Die Beziehung ging auseinander, derzeit geniesst er das Leben als Single.

Mit Überzeugung ist er beim SEV, im Vorstand der RPV-Sektion Zürich. Zudem vertritt er seine Kolleginnen und Kollegen in der regionalen SBB-Personalkommission der Reinigung. Das Engagement sei Familientradition, sagt er: Schon sein Vater, Arbeiter in einer Gitarren-Manufaktur, war aktiver Gewerkschafter. Colomer sagt: «Am ersten Arbeitstag bei der SBB habe ich gefragt: Wer ist unsere Gewerkschaft?»

Text: Christian Egg (Work – Zeitung der Gewerkschaft)
Foto: Michael Schoch