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Auf den Spuren von ...

Giovanna Palumbo, Busfahrerin bei der Fart in Locarno

Ich treffe Giovanna Palumbo in einem Café, kurz bevor sie ihre Schicht als Busfahrerin bei der Fart (Società per le Ferrovie Autolinee Regionali Ticinesi) antritt. Es ist einer jener sonnigen Nachmittage, die man am liebsten draussen verbringen will. Sonnig ist auch diese zierliche, aber resolute Frau, die mir sofort von ihrem Job und ihrer Leidenschaft für alle möglichen Fahrzeuge erzählt. Schon bald habe ich das Gefühl, mit ihr im Bus zu sitzen, Radfahrern ausweichend und in Verkehrskreiseln manövrierend.

Giovanna, die im süditalienischen Salerno geboren und aufgewachsen ist, erzählt, dass sie schon als kleines Mädchen den Wunsch hegte, alle möglichen Fahrzeuge fahren zu können. «Ich dachte immer, dass das Fahren völlig unterschiedlicher Fahrzeuge eine Möglichkeit wäre, den eigenen Horizont zu erweitern. Ich finde es faszinierend, vor allem als Frau, ein so grosses Fahrzeug wie einen Bus oder einen LKW fahren zu können: Es ist fast so was wie Vorurteile aufzubrechen», erklärt sie, sagt aber auch, dass sie als Mädchen nie geglaubt hätte, dass sie eines Tages tatsächlich Busfahrerin sein würde.

Und das kam so: Bis 2020 arbeitete Giovanna in einem ganz anderen Beruf in der Telekommunikation. «2020 startete in der Region Locarno ein grosses Projekt zum Ausbau des Busnetzes mit einer grösseren Anzahl Linien und damit auch einem höheren Bedarf an Mitarbeitenden. Gleichzeitig herrschte in der Telekommunikation ein rauerer Wind, Stellen waren gefährdet. Und nach zehn Jahren im Beruf hatte ich Lust auf etwas Neues. Also bewarb ich mich spontan bei der Fart.» Damals hatte Giovanna jedoch noch keinen Busführerschein, also machte sie sich daran, einen zu erwerben. Nach einem Aufnahmetest und einer einmonatigen Schulung stiess sie zum Fart-Team und fährt seit Dezember 2020 Busse aus dem neuen Depot in Riazzino.

Schichtarbeit

«Bevor ich diesen Job hatte, wusste ich nicht, wie schwierig es sein kann, im Schichtdienst zu arbeiten», gesteht sie und berichtet von den Schwierigkeiten, sich in ihrer Freizeit mit Freunden und Freundinnen zu treffen: «Da ich nur wenige Wochenenden im Monat frei habe, arbeite ich in der Regel, wenn andere frei haben, und umgekehrt. Wenn ich Frühschicht habe, klingelt der Wecker zwischen 3 Uhr 30 und 4 Uhr, sodass ich es mir nicht leisten kann, am Vorabend mit Freunden auszugehen. Das ist nicht immer einfach. Ich glaube, ohne eine gewisse Leidenschaft, kann man diesen Beruf nicht ausüben.» Sie hat diese Leidenschaft, auch wenn es kein leichter Job ist und die Konzentration vom Anfang bis zum Ende der Schicht hoch sein muss. Aber das belastet sie nicht: «Busfahren entspannt mich, und die Schichten belasten mich nicht per se», sagt sie. Und gesteht, dass sie die Spätschichten bevorzugt, weil sie dann keinen Wecker braucht.

«In Riazzino, wo ich arbeite, haben wir nur Doppelgelenkbusse. Aber im Gegensatz zu dem, was viele Leute denken, sind sie nicht schwieriger als kleinere Busse zu fahren, im Gegenteil: je grösser das Fahrzeug, desto einfacher ist es zu lenken», erklärt sie. Das Schwierige sei, alles vorauszusehen, was die anderen Verkehrsteilnehmenden tun könnten: «Als Berufsfahrerin sollte man praktisch fehlerfrei sein und alles voraussehen, aber das ist unmöglich. Was mich bei der Arbeit am meisten stresst, sind Baustellen und das Überholen von Radfahrern.»

Die Personalkommission

Giovanna ist auch Mitglied der Personalkommission: «Ich bin in die Peko eingetreten, weil ich mich für meine Kollegen und Kolleginnen, für ein optimales Arbeitsklima und für gute Arbeitsbedingungen einsetzen will. Ich verstehe mich gut mit den anderen Peko-Mitgliedern, wir haben die gleiche Sicht der Dinge. Aber manchmal ist es schwierig, die anderen Kollegen in unsere Arbeit einzubeziehen. Die Unterstützung durch den SEV ist in diesen Fällen sehr hilfreich. Auch hier braucht es Leidenschaft und Überzeugung.»

Führerschein-Sammlerin

Giovanna nat noch eine weitere Leidenschaft: Sie sammelt Führerscheine. Nach dem Auto- und Busführerschein überlegt sie nun, auch jenen für Motorräder zu machen. «Fürs Erste habe ich mich für das Motorrad entschieden und ich hoffe, dass ich bald mit dem Führerschein anfangen kann. Ich hätte auch gerne einen LKW-Führerschein gemacht, aber als ich es durchgerechnet habe, zeigte es sich, dass es sehr teuer ist und der Nutzen dann doch zu gering, also habe ich es aufgegeben. Als Nächstes … vielleicht der Zug, wer weiss, auch wenn ich dafür meinen Lebensstil komplett ändern müsste», sagt sie, bevor sie sich zum Busdepot in Riazzino aufmacht.

Veronica Galster