Gründung der Gewerkschaft GATA vor 25 Jahren
Endlich ein Ansprechpartner für das Bodenpersonal
Im Juli 2000 entstand bei der Crossair in Basel eine Hausgewerkschaft für das Bodenpersonal, «Groundstaff Aviation Technics and Administration». Drei Beteiligte erzählen, warum es die Gewerkschaft trotz dem «Crossair-Spirit» brauchte.

Im Sommer 2000 war Olga Graf seit 12 Jahren bei der Crossair und leitete deren internen Postdienst in Basel-Mühlhausen: Mit etwa fünf Kurieren stellte sie in allen Abteilungen Post zu und kannte im damals noch überschaubaren Unternehmen fast alle. Bei den Mechanikern arbeitete Markus Gsell damals als «Head of Heavy Maintenance» oft zwölf Stunden pro Tag: «In meiner ganzen Zeit bei der Crossair waren wir am Boden und in der Luft immer unterbesetzt und mussten schauen, wie wir den Betrieb trotzdem gewährleisten konnten», erinnert er sich. «Und die Swissair hatte das Sagen, welche Flugrouten wir bedienen durften. Doch das machte uns innovativ und stark, denn wir wollten besser sein als die Swissair. Der Teamgeist war gut.»
Letzteren förderte der Crossair-Gründer und CEO Moritz Suter gekonnt mit allerlei Events: Wurde ein neues Flugzeug eingeweiht, gab es im Hangar ein Fest für alle mit Live-Konzert, erzählen Olga und Markus. Die Weihnachtsfeiern in der Mustermesse Basel waren legendär. Auch gute Geschäftsabschlüsse wurden ausgiebig gefeiert, manchmal gab es sogar einen 14. oder 15. Monatslohn, weil das Personal so gut gearbeitet hatte. Für das Personal wurde einmal eine Strandbar mit Pool und Liegestühlen aufgebaut, ein andermal ein Westerndorf mit Saloon und Heuballen, wo man nach Arbeitsschluss zusammensass. Moritz Suter kam vorbei, sprach mit allen und ging wieder. Der Patron hatte auch stets eine offene Tür für alle.
Events und andere Extras
«In der Stadt hätte ich in einem vergleichbaren Job wohl bis 500 Franken mehr verdient», berichtet Olga weiter. «Doch die Events, Flugvergünstigungen usw. glichen das aus. Wir waren alle eine Familie und in den Pausen und nach der Arbeit oft zusammen. Sogar nach dem Ende der Crossair gab es noch mehrere Treffen der Ex-Crossair-Mitarbeitenden, von denen viele aus ganz Europa extra nach Basel kamen.» Olga war auch froh, dass sie nach dem Eintritt in das Unternehmen 1988 während drei Jahren berufsbegleitend eine KV-Ausbildung machen konnte, wobei sie jeweils an einem Abend und am Samstag die Schulbank drückte. Dazu kam eine einmonatige Ausbildung in Singapur für ihre erste Stelle in der Verkehrsabrechnung.
Auch Markus Gsell hätte im Jahr 2000 bei anderen Unternehmungen mit gleicher Verantwortung mehr verdient. Die Crossair konnte den Mechanikern relativ tiefe Löhne bezahlen, weil viele aus Deutschland oder Frankreich kamen und dort tiefere Lebenskosten hatten. Aber auch Markus schätzte den Aviatik- und Crossair-Spirit, die Events und sonstigen Extras – wie die Crossair-Aktien, die aber bei der Swiss-Gründung «bachab gingen». Und er war in der Crossair aufgewachsen: Nach dem Lehrabschluss als Maschinenmechaniker bewarb er sich im August 1985 auf ein Stelleninserat der Crossair, machte die dreijährige Ausbildung zum Flugzeugmechaniker und erhielt vom Luftamt seine Lizenz, die ihm selbst gehörte. Anders war es bei der Swissair, wo die Mechaniker-Lizenzen dem Unternehmen gehörten, was ein Problem war, wenn man kündigen wollte. Markus Gsell schätzte an der Crossair auch, dass sie «Nichtstudierten» wie ihm Leitungsfunktionen zutraute. Das war auch bei den Piloten so, von denen viele ursprünglich einen Handwerkerberuf erlernt und ihre Pilotenausbildung selbst finanziert hatten. «Diese Piloten waren nicht snobbistisch wie gewisse Swissair-Piloten.»
Fehlendes Gehör und kein GAV
Doch auch bei der Crossair gab es eine gewisse Kluft zwischen den Piloten, die in der Hierarchie die Mehrheit stellten, und den Mechanikern und dem übrigen Bodenpersonal, erinnert sich Markus Gsell. «Unsere Piloten hatten eine eigene Gewerkschaft, wir Mechaniker dagegen waren auf uns allein gestellt. Und wir hatten manchmal das Gefühl, in der Hierarchie zu wenig gehört zu werden und keinen Ansprechpartner für unsere Bedürfnisse zu haben.» Darum unterstützte Markus Gsell die Gründung der GATA, auch wenn er als Chef nicht an vorderster Front mitmachte. Ein Anstoss zur GATA-Gründung war auch, dass bei der Crossair ein Gesamtarbeitsvertrag fehlte und ein solcher durch eine Gewerkschaft ausgehandelt werden musste.
Olga Graf war auch nicht die treibende Kraft bei der GATA, aber bei Versammlungen fast immer dabei. Dort tauchten zum Beispiel Fragen zum GAV auf, die Olgas Mann André Graf als langjähriger SEV-Gewerkschafter beantworten konnte, nachdem bei der SBB gerade ein erster GAV ausgehandelt worden war. «Schliesslich fand ich es einfacher, ihn gleich zu den Versammlungen mitzunehmen», sagt Olga. André war damals auch Kongress-Vizepräsident und fragte SEV-Präsident Ernst Leuenberger: «Was wäre, wenn dem SEV Flügel wachsen würden?» Daraufhin kam am 1. März 2001 ein dreijähriger Kooperationsvertrag von GATA mit dem SEV zustande. Markus Gsell traute der Gewerkschaft des Verkehrspersonals zu, die Bedürfnisse der Flugzeugmechaniker zu verstehen, weil z. B. auch bei der Bahn Fahrzeuge im Drei-Schicht-Betrieb unterhalten wurden.
Massenentlassungen
Der SEV unterstützte GATA insbesondere bei der Aushandlung des ersten Bodenpersonal-GAV. Dieser wurde aber erst im April 2002 mit der Swiss unterschrieben, weil im Oktober 2001 das Swissair-Grounding dazwischenkam. Banken, Politiker und Manager handelten danach aus, dass die Crossair die Swissair faktisch übernahm und per 1. März 2002 als Swiss firmierte. Damit hatten Olga und Markus statt ein paar hundert Arbeitskolleg:innen plötzlich deren 10 500. Und SEV-GATA wurde zur grössten Bodenpersonalgewerkschaft bei der Swiss. Sie konnte allerdings nicht verhindern, dass die Swiss drei Massenentlassungen vornahm, wodurch von den ursprünglichen Swiss-Mitarbeitenden rund die Hälfte bis 2006 ihre Stelle verloren. Aber sie kämpfte für anständige Sozial‑pläne und unterstützte die Entlassenen.
Olga Graf verlor ihre Stelle Ende 2005, nachdem die Swiss im August 2002 den internen Postdienst in die Firma «MailSource» ausgelagert hatte, wo Olga weiterarbeiten konnte, bis die Swiss wieder einen eigenen Kurierdienst schuf. Sie fand Arbeit bei den Basler Verkehrsbetrieben und ist inzwischen pensioniert, wie auch ihr Mann André. Dieser erinnert sich besonders gerne an ein Treffen mit Ex-Swiss-Chef André Dosé, dem er erklärte, «dass eine Gewerkschaft dem Unternehmen hilft, seine Anforderungen mit den Bedürfnissen des Personals in Einklang zu bringen. Und dass sie Probleme zur Hierarchiespitze trägt, die auf den Zwischenstufen unter den Teppich gekehrt werden.»
Markus Gsell wurde bei der Swiss bald «Head of Training» für das Flugzeugunterhaltspersonal weltweit. Doch 2012 wechselte er an die Gewerbeschule Basel und bildete Polymechaniker:innen aus, und seit zehn Jahren betreut er nun Lehrbetriebe und Lehrlinge als Aufsichtsperson des Erziehungsdepartements Basel-Stadt. Seine 27 Jahre in der Aviatik waren für ihn voller Abenteuer, und auch Olga und André Graf erinnern sich gerne an die wilden Crossair-Jahre und an die Anfänge von GATA und SEV-GATA.
Markus Fischer
Viel Arbeit für SEV-GATA bis heute
Nach einer dreijährigen Kooperation mit dem SEV ab März 2001 stimmten die GATA-Mitglieder im März 2004 ihrer vollen Integration in den SEV zu, worauf auch die SEV-Gremien grünes Licht zur Schaffung der SEV-Luftverkehrsabteilung SEV-GATA gaben. Besondere Herausforderungen waren für diese die Massenentlassungen bei der Swiss (bis 2006) und 2004/2005 die Neuaushandlung des Bodenpersonal-GAV. Zu begleiten war 2008 auch die Auslagerung der Swiss-Technik in die Lufthansa Technik Switzerland, für die ein GAV auszuhandeln war, und ihr Abzug aus Basel 2013.
2017 schlossen sich 500 Mitglieder des Personalverbands PUSH dem SEV an. Damit wurde SEV-GATA auch bei Swissport und anderen Bodenabfertigern in Zürich-Kloten und Genf massgeblicher Sozialpartner und schloss mit diesen GAVs ab. Ab März 2020 galt es die Corona-Pandemie zu meistern: SEV-GATA setzte sich für Kurzarbeitsentschädigungen und Bundeshilfe an die Flugbranche ein und handelte mit der Swiss und Swissport Krisen-GAVs aus. Trotzdem nahm die Swiss ab Mai 2021 eine Massenentlassung vor. Dadurch fehlte ihr prompt Personal, als der Verkehr 2022 wieder anzog. In den letzten Jahren musste SEV-GATA denn auch laufend für genügend Personal, bessere Anstellungs- und Arbeitsbedingungen und eine angemessene Beteiligung des Personals an den Unternehmensgewinnen kämpfen.
Aktuell ist bei der Swiss eine gute Lösung für Langzeit-Nachtschichten gefragt, nachdem das Seco das bisherige Modell nicht mehr verlängern will. Zudem stehen nächstes Jahr GAV-Verhandlungen an, wie auch bei Swissport.
Weitere Infos zu den aktuellen Themen finden sich auf der Webseite sev-gata.ch.