| Aktuell / SEV Zeitung, Aggression und Gewalt gegen Personal

Erneuerte Charta gegen Gewalt auf den Weg gebracht

Der SEV und die Transportunternehmungen haben am 25. November 2025 die erneuerte «Charta gegen Gewalt» feierlich unterzeichnet. Rund 50 Transportunternehmen haben sich der Initiative angeschlossen und damit gemeinsam mit der Gewerkschaft ein starkes Zeichen für den Schutz des Personals und der Fahrgäste gesetzt. Gleichzeitig haben sie in Bern auf 25 Jahre Engagement für mehr Sicherheit im öV zurückgeschaut.

«Im öffentlichen Verkehr gilt: Sicherheit muss Vorfahrt haben – für Kundinnen und Kunden, aber auch für das Personal. Gemeinsam mit führenden Unternehmen des Sektors streben wir eine Kultur des gegenseitigen Respekts an. Das gilt für Fahrgäste und für Beschäftigte», begrüsst SEV-Präsident Matthias Hartwich in seiner Rede die 150 anwesenden Gäste und ergänzt: «Unser Ziel ist ein Dialog zwischen Arbeitnehmer:innen, Unternehmen, Sicherheitsbehörden und Politik, damit kein Mensch Angst haben muss, wenn er oder sie in einen Bus, auf ein Schiff, in ein Tram oder einen Zug einsteigt.» Ein solcher Dialog soll an einem runden Tisch stattfinden, fordert der SEV.

Auch der Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr VöV, Ueli Stückelberger, der die Arbeitgeberseite der Branche vertritt, betont: «Gewalt gegen Mitarbeitende wie Fahrgäste ist nicht tolerierbar. Deshalb setzen die Transportunternehmen und Sozialpartner zusammen mit der heutigen Tagung ein klares Zeichen gegen Gewalt.» Ausdrücklich unterstützt er die Forderung des SEV, einen runden Tisch zu Massnahmen gegen Gewalt im öffentlichen Verkehr zu organisieren.

© Manu Friederich

Neue Charta mit erweiterten Verpflichtungen

Die aktuelle Neuauflage der Charta aus dem Jahr 2000 reagiert auf die zunehmende Zahl von Übergriffen in den letzten Jahren, insbesondere während der Covidpandemie und seitdem. Sie präzisiert den rechtlichen Rahmen, definiert Gewalt und Aggressionen klarer und fordert, dass auch verbale Übergriffe systematisch angezeigt werden. Zudem sieht die Charta eine jährliche Bilanzierung der Fortschritte vor. 

Ein besonderer Fokus liegt auf Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Verkehr. Es passt denn auch gut, dass die Veranstaltung am 25. Novemberstattfindet, am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Das betont Sybille Lustenberger, Gleichstellungsbeauftragte des SEV.

Erwin Jutzet (© Manu Friederich)

Rückblick auf 25 Jahre Charta gegen Gewalt

Die Veranstaltung in Bern bietet auch Gelegenheit, auf die Entwicklung seit der ersten Charta vor 25 Jahren zurückzublicken. Damals verpflichteten sich die Unternehmen, paritätische Arbeitsgruppen einzurichten, um Aggressionen und Gewalt im öffentlichen Verkehr zu dokumentieren und Lösungen zu erarbeiten. Ein Meilenstein war die Einführung von Artikel 59 Personenbeförderungsgesetz (PBG) im Jahr 2007, der Übergriffe als Offizialdelikt festschreibt. Eine wichtige Rolle bei der Anpassung des PBG hatte der damalige SP-Nationalrat Erwin Jutzet. Er reichte im Parlament eine Motion ein, die schliesslich zur Gesetzesänderung führte. Auch er war an der Veranstaltung präsent. (Anm. der Redaktion: Vier Tage nach der Veranstaltung verstarb der ehemalige Freiburger Grossrat, Nationalrat und Staatsrat Erwin Jutztet. Der SEV spricht seinen Angehörigen sein herzliches Beileid aus.)

Leider handhaben die Kantone dieses Gesetz noch immer nicht einheitlich. Deshalb haben SEV und VöV den 26 Staatsanwaltschaften einen Brief geschrieben mit der Forderung, Gewalt und Drohungen gegen das öV-Personal konsequent zu verfolgen.

Gillbert D'Alessandro (© Manu Friederich)

Auf Worte müssen Taten folgen

«Die Charta verkörpert den Geist der Sozialpartnerschaft: Zuhören, Dialog und Handeln», betont Gilbert D’Alessandro in seiner Rede. Der Busfahrer und Vollblut-Gewerkschafter ist einer der Initianten der Charta von 2000 und hat auch an deren Weiterentwicklung mitgearbeitet. Für alle Anwesenden ist klar, das Engagement für einen respektvolleren Umgang im öV geht nach der Unterzeichnung der Charta weiter. Petra Breuer, Vizedirektorin des Bundesamts für Verkehr, fügt an: «Es braucht immer wieder Aufmerksamkeit, Haltung und Menschen, die hinschauen und handeln.»

Eindrücklich sind Zeugenaussagen von Anwesenden und von Kolleg:innen in einer Videoeinspielung, die von Übergriffen im Berufsalltag erzählen. Die anwesenden Vertreter der Transportunternehmungen betonen, dass sie sich bemühen, ihr möglichstes zu tun. Hierzu gibt es dann auch kritische Rückmeldungen aus dem Publikum. Bemängelt wird beispielsweise, dass es nach wie vor auf Zügen keine konsequente Doppelbegleitung gibt.

 

Renato Fasciati, Präsident VöV, und Matthias Hartwich, Präsident SEV (© Manu Friederich)

Sowohl für die anwesenden Arbeitgeber:innen als auch für Arbeitnehmer:innen ist klar, Gewalt und Aggressionen sind ein gesellschaftliches Problem, dass alleine mit dieser Charta und dem Bekenntnis dazu nicht gelöst werden kann. Es ist eben nicht nur ein schweizerisches Problem, sondern leider auch eine europäisches Herausforderung, sagt Livia Spera, die Generalsekretärin der europäischen Transportarbeiter:innen Föderation ETF. Es braucht folglich auch eine Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus. Für den SEV und alle Anwesenden ist klar, eine Charta alleine reicht nicht, es braucht viele Taten, die nun auf die Worte folgen müssen.

Die Tagung «25 Jahre Charta gegen Gewalt» war ein wichtiger Anlass, um zurückzuschauen und in die Zukunft zu blicken. Hier eine Auswahl von Zitaten der Teilnehmer:innen der Veranstaltung am 25. November 2025.

Gilbert D’Alessandro, Zentralpräsident VPT: «Es war ein Weg voller Hindernisse, aber ein unbestreitbarer Erfolg! Rückblickend können wir den Erfolg messen: Gewalt im Verkehr ist kein Tabu mehr, sondern ein gesellschaftliches Thema. Das Personenbeförderungsgesetz (PBG) bietet den Betroffenen rechtlichen Schutz. Gewerkschaften, Unternehmen und Behörden haben gelernt, Seite an Seite zu arbeiten.»

Matthias Hartwich, Präsident SEV: «Jetzt kommt es auf die Arbeit in den Unternehmen an: auf die Sektionsvorstände, auf die HR-Abteilungen, auf die Zusammenarbeit mit den Personalkommissionen und den Gewerkschaften. Aus dieser Sicht ist die Charta ein Anfang, kein Endpunkt.»

Livia Spera, Generalsekretärin ETF: «60 % der Frauen, die im öffentlichen Verkehr arbeiten, haben irgendeine Form von Gewalt erlebt – sei es durch Kundschaft, Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte. Um Gewalt zu beseitigen, muss man an die Wurzel des Problems gehen.»

Petra Breuer, Vizedirektorin BAV: «Das BAV steht klar hinter dem Anliegen, Mitarbeitende vor Gewalt zu schützen. Die Umsetzung liegt bei den Transportunternehmen. Artikel 2 des Bundesgesetzes über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen (BGST; SR 745.2) verpflichtet die konzessionierten Unternehmen, Sicherheitsorgane zu unterhalten, soweit es zum Schutz der Reisenden, der Angestellten, der transportierten Güter, der Infrastruktur und der Fahrzeuge sowie zur Gewährleistung des ordnungsgemässen Betriebs erforderlich ist.»

Janine Truttmann, Zugbegleiterin, ZPV: «Ich habe mehrere Übergriffe erlebt und muss zugeben, dass ich nicht mehr mit derselben Unbeschwertheit Zug fahre. Es ist wichtig, über die erlebten Übergriffe zu sprechen – sie hinterlassen Narben, die schwer heilen.»

Sibylle Lustenberger,SEV-Frauenkommission: «Ein grundlegendes Problem ist, dass Sexismus und Belästigung, wenn sie nicht körperlich sind, verharmlost werden oder sogar das Opfer verantwortlich gemacht wird. Das führt dazu, dass man den Mut verliert, Vorfälle zu melden.»

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