| Aktuell / SEV Zeitung, Kongress 2025, Aggression und Gewalt gegen Personal

Kongress 2025

Podium zur Gewalt

Am ersten Kongresstag demonstrierten über 200 Delegierte mit einem Riesenbanner gegen die täglichen Aggressionen gegen das Verkehrspersonal (siehe Bild auf Seite 1).Am zweiten Tag war dem Thema ein Podium gewidmet. Damit ist die SEV-Kampagne «Stopp Gewalt – mehr Respekt für das Personal» offiziell lanciert. Am 3. September folgt ein nationaler Aktionstag, und am 25. November wird das 25-jährige Bestehen der Charta gegen Gewalt im öffentlichen Verkehr gefeiert.

Einleitend zum Podium erinnerte Moderator Peter Moor daran, dass der Kampf gegen die Gewalt dieses Jahr für den Kongress und den SEV ein Schwerpunktthema ist. Er wies darauf hin, dass es bei der SBB zwar durchschnittlich drei Übergriffe pro Tag gebe, die Medien aber kaum darüber berichteten. Zwei Übergriffe haben neulich Aufsehen erregt: Am 24. Mai wurde im Bahnhof von Yverdon ein Lokführer von einem aufgebrachten Fahrgast tätlich angegriffen, und am 4. Juni wurde ein Busfahrer abends in Gurtnellen (Uri) von einem betrunkenen Fahrgast beleidigt und ins Gesicht geschlagen.

Peter Moor fragte Gilbert D’Alessandro, Busfahrer bei den TPF und Zentralpräsident des Unterverbands VPT, ob er sich sicher fühle. Er gab an, dass es tatsächlich eine gewisse «Einsamkeit des Fahrers» gäbe. In TPF-Bussen kann er aber mit dem Fuss einen Knopf betätigen, worauf die Zentrale hört, was im Bus passiert, und rasch die Polizei einschalten kann. In einem von ihm genannten Beispiel war sie innert vier Minuten vor Ort. «Aber nicht alle Unternehmen haben diese Einrichtung.» Die Unternehmen müssten investieren und dürften nicht die Botschaft vermitteln, dass sich die Kundschaft mit dem Personal alles erlauben könne. Zudem müssten alle Betriebe und Kantone den Artikel 59 des Personenbeförderungsgesetzes einheitlich anwenden, gemäss dem strafbare Handlungen gegen öV-Personal von Amtes wegen zu verfolgen sind.

Wie sieht es auf europäischer Ebene aus, fragte Moor die Generalsekretärin der Europäischen Transportarbeiter-Föderation, Livia Spera. Für die ETF sei diese Frage auch eine Priorität, da die Übergriffe in ganz Europa zunähmen. Die ETF hat im Mai eine entsprechende Umfrage gestartet. Die Gewalt in der Gesellschaft und die immer grösser werdenden Wohlstandsunterschiede spiegelten sich im öV wider. In Italien war die Antwort auf einen besonders gewalttätigen Überfall ein landesweiter Streik. Es müsse mehr getan werden, damit diese Dienstleistungsberufe respektiert würden, forderte Spera.

Dirk Baier, Kriminologe und Dozent an der ZHAW sagte, dass die Gewalt in der Schweiz laut Statistik langfristig nicht zugenommen hat. Selbst wenn sie kurzfristig zunimmt, läuft es besser als anderswo in Europa. Wir lebten aber in einer Freizeitgesellschaft, die psychische Belastung in der Arbeitswelt nehme zu, Drogen- und Alkoholprobleme stiegen und die Ungleichheit vergrössere sich. Dennoch bleibe er optimistisch.

Massimo Brigatti, Vizepräsident des Unterverbands des Zugpersonals (ZPV), kritisierte die Präventionskampagne der SBB: Die Botschaft sei nicht angekommen. Seiner Meinung nach würden TV-Spots, die deutlich zeigen, wie Kundenbegleiter:innen geschubst oder beleidigt werden, den Ernst des Problems besser verdeutlichen. Kurse seien gut, doch dürfe damit das Problem der Gewalt nicht an die Mitarbeitenden delegiert werden. Angesichts von Menschen, die Störungen haben oder unter dem Einfluss von Substanzen stehen, seien philosophische Reden wenig hilfreich. Er wundert sich über die optimistischen Statistiken des Kriminologen. «Die gemessene Gewalt ist nur ein winziger Teil der tatsächlichen Gewalt.»

Janine Truttmann von der Frauenkommission SEV wies darauf hin, dass die Statistiken keine Auskunft darüber geben, ob Frauen häufiger Opfer von Aggressionen werden. Sie hat in den besuchten Kursen viel gelernt, doch seien diese in der Realität schwer umzusetzen. «Stopp» zu sagen könne jedoch in manchen Fällen funktionieren und Angreifer überraschen. Sie plädierte für eine doppelte Begleitung auch tagsüber. «Hier sollte wirklich nicht gespart werden», betonte sie. Es brauche geschultes Personal und die Anerkennung des Unternehmens in diesen Fragen.

Nach dem Podium ergriff Marie-José Juillet, Kundenberaterin und Präsidentin SEV-AS Ouest, das Wort und erinnerte daran, «dass alle Mitarbeiter:innen mit Kundenkontakt von dieser Problematik betroffen sind und täglich mit Gewaltsituationen konfrontiert werden». Mit dem fortschreitenden Personalabbau in den Bahnhöfen seien die Kolleg:innen am Schalter für die Kundschaft oft die einzigen Ansprechpersonen für Beschwerden. Würden die Bahnhöfe wieder mit mehr Personal ausgestattet, würde die Gewalt zurückgehen, findet sie.

Yves Sancey