Entsendegesetz
Air-Baltic-Personal in der Schweiz: Lohnschutz nur für Bodenpersonal?
Der Kanton Zürich hat entschieden, dass das Wartungspersonal der Air Baltic bei Wet-Lease-Einsätzen für die Swiss dem Entsendegesetz untersteht, das fliegende Personal aber nicht. Für den Organisationsbereich unserer Bodenpersonalgewerkschaft SEV-GATA ist dieser Entscheid wichtig und klärend. Der Ausschluss des fliegenden Personals aber gefährdet dessen Löhne und Arbeitsplätze in der Schweiz. Darum bereitet die Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers eine Beschwerde gegen den Entscheid vor – und wird dabei von SEV-GATA voll unterstützt.

Die Swiss schloss ihren ersten Wet-Lease-Vertrag mit der lettischen Fluggesellschaft im August 2022 für die Dauer vom 30. Oktober 2022 bis zum 26. März 2023 für bis zu sechs Flugzeuge ab. Hintergrund war, dass nach der Covid-Pandemie die Nachfrage nach Flügen wieder rasch stieg, während die Swiss zu wenig einsatzfähige Flugzeuge hatte wegen fehlender Triebwerke und nicht genug Personal einstellen und ausbilden konnte – nach der Massenentlassung vom Mai 2021.
Mehrere Gewerkschaften, darunter auch Kapers und SEV-GATA, richteten damals eine scharfe Protestnote an die Swiss-Leitung: «Die Personalplanung der Swiss, welche gegensteuernde Massnahmen zu spät ergriffen hat, hat die Swiss nun in eine Lage gebracht, in der sie nicht fähig ist, die geplante Produktion zu bewerkstelligen. Nun werden Flugzeuge und Besatzungen von Air Baltic eingesetzt, welche unsere Kostenstruktur deutlich unterbieten. Dieses Lohndumping ist für uns inakzeptabel. Nachdem alle Personalgruppen einen massiven Beitrag geleistet haben, um durch die Krise zu kommen, können wir nun zusehen, wie unsere Arbeitsplätze ausgelagert werden.» In einer Aussprache legte die Swiss dar, dass es sich um eine befristete Ausnahme aus Not handle. Doch die Swiss setzte die Vereinbarung nicht nur unverändert um, sondern verlängerte sie für weitere Flugplanperioden bis heute. Die Vereinbarung betraf zuerst sechs Flugzeuge, dann acht und aktuell wieder sechs. Zwischen Januar und August 2023 waren insgesamt 860 Besatzungsmitglieder von Baltic Air auf Wet-Lease-Flügen in Zürich tätig, und insgesamt 107 Flugzeugtechniker:innen, wie der Entscheid der Zürcher Volkswirtschaftsdirektion präzisiert.
Entsendegesetz für Seco massgeblich
Kapers beschwerte sich schon 2022 bei der zuständigen Kontrollinstanz, dem Amt für Wirtschaft des Kantons Zürich, das Ende 2022 in einer ersten Beurteilung schrieb: «Es handelt sich um nicht gestatteten Personalverleih. Das Vertragsverhältnis ist nichtig.» Das auf Bundesebene zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hingegen entschied im Frühjahr 2023, dass der Personalverleih nicht illegal sei, aber unter das Entsendegesetz falle und dessen Regeln einzuhalten habe. Dazu gehört unter anderem eine minimale, ortsübliche Entlöhnung. Die Baltic-Air-Crews flogen und fliegen aber mit Monatslöhnen ab 1500 Franken brutto – weniger als die Hälfte dessen, was eine Swiss-Crew im Einstieg verdient. Auch bei den Pilot:innen besteht eine beachtliche Lohndifferenz.
Im August 2023 machte das Amt für Wirtschaft die Air Baltic auf die Melde- und Bewilligungspflichten gemäss Entsende- und Ausländerrecht aufmerksam und forderte eine Liste aller im Kanton Zürich eingesetzten Mitarbeitenden. Doch die Air Baltic und Swiss machten in einem Rekurs an die Zürcher Volkwirtschaftsdirektion geltend, dass keine Entsendung vorliege.
Wartungspersonal entsandt, fliegendes Personal nicht entsandt?
Die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion publizierte Anfang September den Entscheid ihrer Rekursinstanz, datiert vom 30. Juni 2025. Er bestätigt, dass die Mitarbeitenden im Organisationsbereich von SEV-GATA dem Entsendegesetz unterliegen. «Ein Erfolg, der unseren Mitgliedern Sicherheit gibt», sagt Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn, Präsident von SEV-GATA. Im Entscheid steht: «Die Tätigkeiten des Wartungspersonals umfassen im Gegensatz zur Tätigkeit der Besatzungsmitglieder keine Beförderungsleistungen, sondern bodengebundene Aufgaben. Zu deren Erfüllung verfügt das Wartungspersonal am Flughafen Zürich über ein Büro, einen Lagerraum sowie die notwendigen Werkzeuge und Ersatzkomponenten.» Von Januar bis August 2023 hätten durchgehend mindestens fünf Techniker:innen von Baltic Air in Zürich Line Maintenance gemacht. Sie hätten eine Arbeitsleistung in der Schweiz erbracht. Somit bestehe ein Bezug zum Schweizer Arbeitsmarkt, da Baltic Air sonst die Line Maintenance an Wartungsunternehmen in der Schweiz hätte übertragen müssen.
Zu den «Fliegenden» aber fiel der Entscheid ganz anders aus: «Ihre Tätigkeiten am Flughafen Zürich vermögen keine hinreichende Verbindung zur Schweiz zu begründen», darum unterständen sie dem Entsendegesetz nicht.
Fehlentscheid nicht nur fürFlugbranche gefährlich
Kapers kündigte umgehend an, als Interessenvertreterin der Angestellten von Swiss und Air Baltic eine Beschwerde beim Zürcher Verwaltungsgericht einzureichen. «Der Fall wurde von den Zürcher Behörden nicht sorgfältig abgeklärt», kritisiert Kapers scharf. «Dienstpläne, Layover-Listen und Hotelbuchungen in Zürich zeigen klar: Die Air Baltic-Crews verbringen mehrere Tage am Stück in der Schweiz, starten teils mehrfach täglich von Zürich aus, leisten auch Reserve-Dienste mehrere Tage am Stück in Zürich – sie halten sich hier auf Abruf bereit und werden kurzfristig eingesetzt, und sind voll in den Swiss-Betrieb eingebunden. Pairings, Dienstanweisungen und Servicevorgaben stammen von Swiss – selbst Kerosin wird über das Swiss-Portal bestellt. Damit ist der Schweizbezug der Arbeit unbestreitbar.»
Für Kapers-Präsidentin Nicolic-Fuss ist der «Fehlentscheid» ein «gefährlicher Präzedenzfall»: «Wer den Schutz des Kabinenpersonals aushebelt, öffnet die Schleusen für Lohndumping in allen Branchen – von der Luftfahrt über die Logistik bis hin zum Bau und zur Pflege.»
Lohnschutz für Wartungspersonal gehört jetzt umgesetzt
«SEV-GATA unterstützt die Klage von Kapers voll und ganz», sagt Philipp Hadorn. «Der Teil des Entscheids zum Wartungspersonal aber ist wichtig und klärend und muss nun unmittelbar umgesetzt werden.»
Mit diesem Teil des Entscheids sei Air Baltic zwar nicht einverstanden, fechte den Entscheid als Ganzes aber nicht an, berichteten Tamedia-Zeitungen am 16. September. «Weil zudem weder die Swiss noch die involvierten Behörden den Fall weiterziehen wollen, scheint die Entscheidung rechtsgültig zu sein. Definitiv konnten das jedoch weder das Verwaltungsgericht noch die Volkswirtschaftsdirektion bestätigen.» Unklar sei auch, ob das Verwaltungsgericht die Beschwerde von Kapers akzeptiert. Andernfalls bleibt den Arbeitnehmenden und Gewerkschaften der Weg über ein Zivilgericht.
Markus Fischer