Artikel 59 PBG
Von Amtes wegen verfolgt, wie geht das?
Artikel 59 des Personenförderungsgesetzes (PBG) sieht vor, dass physische oder verbale Angriffe auf Personal des öffentlichen Verkehrs von den Strafbehörden automatisch, also von Amtes wegen, verfolgt werden. Dadurch muss das Opfer nicht selbst Anzeige erstatten, wenn es das nicht möchte. Einige Schritte sind jedoch erforderlich.

Nach jahrelangem gewerkschaftlichem und politischem Einsatz wurde das PBG angepasst. Seit 2007 gilt: Wer im Fahrdienst, bei Kontrollen, am Schalter oder sonst im Einsatz im öffentlichen Verkehrsnetz Opfer einer Aggression wird, muss nicht selbst Anzeige erstatten. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Vorfall den Strafbehörden (Staatsanwaltschaft oder Polizei) zu melden, die von Amtes wegen tätig werden müssen – auch ohne persönliche Anzeige. Dieser Schutz ist besonders wichtig, da Betroffene in solchen Momenten oft verletzlich sind.
Übergriffe sind ein Offizialdelikt
In Artikel 59 PBG ist klar formuliert: «Straftaten nach Strafgesetzbuch werden von Amtes wegen verfolgt, wenn sie gegen Personen in Ausübung ihrer Funktion bei konzessionierten oder bewilligten Transportunternehmungen begangen werden.» Dies gilt auch für Personal von Subunternehmen. Entsprechende Hinweise finden sich in den meisten Bussen und Trams der Schweiz und sollten auch in Zügen, Schiffen und Reisezentren angebracht sein.
Damit die automatische Anzeige greifen kann, muss die Aggression innerhalb von 24 Stunden dem Arbeitgeber gemeldet werden. Andernfalls kann das Unternehmen den Vorfall nicht an die Strafbehörden weiterleiten. Hier stellt sich die Frage nach einer konsequenten Meldung aller Übergriffe. Statistiken zeigen, dass viele Aggressionen, besonders verbale, nicht gemeldet werden. Doch auch Worte können die Integrität, das Selbstwertgefühl und die psychische wie körperliche Gesundheit beeinträchtigen. Sie sind im Strafgesetzbuch erfasst, etwa als Verleumdung, üble Nachrede, Beleidigung oder Drohung.
Der SEV ermutigt das Personal deshalb, sämtliche Aggressionen zu melden – auch wenn sie auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen. Nur so wird das tatsächliche Ausmass sichtbar.
Verfahren müssen einfach sein
Die meisten ÖV-Unternehmen haben Verfahren festgelegt und Formulare erstellt, die Betroffene ausfüllen und unterschreiben müssen. Vorgesetzte oder der Rechtsdienst des Unternehmens sollen sie dabei unterstützen. Oft sind die Formulare jedoch kompliziert. Das ist gerade nach einem belastenden Erlebnis problematisch. Unternehmen sollten folglich sicherstellen, dass die Abläufe möglichst einfach sind. Nach dem Ausfüllen muss das Unternehmen zwingend Anzeige von Amtes wegen erstatten. Manche Unternehmen oder Vorgesetzte stellen dies infrage, oder sie empfehlen stattdessen eine persönliche Anzeige. Das ist unzulässig. In solchen Fällen sollten Betroffene sofort den SEV informieren, damit er bei den Unternehmen intervenieren kann.
Nach der Meldung muss das Unternehmen den Vorfall an die zuständigen Strafbehörden weiterleiten. Diese sind nach Artikel 59 PBG verpflichtet, eine Untersuchung einzuleiten und die Täterschaft zu verfolgen. Betroffene müssen in der Regel eine Aussage bei der Polizei machen. Vorgesetzte oder Juristinnen und Juristen begleiten sie dabei und gegebenenfalls vor Gericht als Zeuginnen und Zeugen. Kommt das Unternehmen dieser Pflicht nicht nach, sollten Betroffene ebenfalls sofort den SEV informieren.
Sensibilisierung ist wichtig
Mit seiner aktuellen Sensibilisierungskampagne «Stopp Gewalt! Mehr Respekt für das Personal» erinnert der SEV daran: Kolleginnen und Kollegen haben Rechte. Unternehmen, Polizei und Justiz haben Pflichten, diese Straftaten von Amtes wegen zu verfolgen. In den meisten Fällen liegt keine böse Absicht vor, wenn das nicht geschieht, sondern schlicht Unkenntnis von Artikel 59 PBG. Das führt zu sehr unterschiedlichen Umsetzungen, je nach Kanton. Ziel des SEV ist es, zu informieren und solche Verfahren zu vereinheitlichen – auch im Rahmen der Neuunterzeichnung der «Charta für mehr Sicherheit im öffentlichen Verkehr», deren 25-jähriges Jubiläum am 25. November 2025 begangen wird. Am 3. September wird der SEV schweizweit unterwegs sein, um Reisende und Personal zu sensibilisieren.
Yves Sancey