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Demonstration in Mendrisio

SBB Cargo: Wut und Widerstand im Tessin

Auch der Himmel schien am Freitag, 29. August seine Empörung über die Abbaupolitik von SBB Cargo herausbrüllen zu wollen, denn der Wetterdienst hatte für Mendrisio eine Unwetterwarnung der Stufe 3 herausgegeben, und tatsächlich türmten sich über dem Demonstrationszug schwarze Wolken. Doch die rund 300 Demonstrant:innen trotzten Wind und Regen, um ihre Opposition gegen die Schliessung zweier Tessiner Terminals durch SBB Cargo und den damit verbundenen Verlust von 40 Arbeitsplätzen in der Region kundzutun und vor der konkreten Gefahr zu warnen, dass jedes Jahr Zehntausende zusätzliche Lastwagen auf den Tessiner Strassen unterwegs sein werden. Vom Bahnhof aus zogen die Demonstrant:innen hinter dem SEV-Transparent «Nein zum Abbau von SBB Cargo» im Regen zur Markthalle, wo sie allen Redner:innen mit ausserordentlicher Aufmerksamkeit zuhörten und jeden Satz aufnahmen, was deutlich machte, wie gross im Tessin das Interesse für das Thema und die Besorgnis sind. Die Zuhörenden brachen ihre Stille nur mit ihrem Applaus.

Es waren also nicht nur «Hitzköpfe, unter die man sich besser nicht mischen sollte», wie der SBB-CEO am Vorabend der Demonstration dem SEV-Präsidenten Matthias Hartwich geraten hatte. Gekommen waren Mitglieder aller Gewerkschaften, Politikerinnen und Politiker verschiedener Ebenen, Bürgerinnen und Bürger sowie Bahnangestellte. Genau diese ergriffen als Erste das Wort, um zu berichten, was die x-te Neuausrichtung von SBB Cargo für sie bedeutet: «Rangierer werden nach Jahrzehnten schwerer körperlicher Arbeit bei jedem Wetter plötzlich wie nutzloser Ballast behandelt. Verwaltungsangestellte, die sich stets nach Kräften bemüht haben, den Bedürfnissen der treuen Bahnkunden gerecht zu werden, haben nun einen Direktor, der dieselben Kunden vor die Wahl stellt, entweder eine drastische Preiserhöhung zu akzeptieren oder auf die Strasse zu wechseln. Unterhaltstechniker, die sich im Laufe der Jahre auf die Wartung der modernsten Lokomotiven spezialisiert haben, auch von anderen Eisenbahnunternehmen und privaten Eigentümern, und damit wertvolle Einnahmen generieren, bekommen nun zu hören, dass die Fahrzeuge von SBB Cargo Vorrang hätten, auch wenn deren Zahl stark verkleinert werden soll», erklärte Alan Tettamanti, Vizepräsident der SEV-LPV-Sektion Ticino. Er betonte, dass sich viele Lokführer weiterhin grosse Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen, obwohl die SBB behauptet, für die wegfallenden 40 Arbeitsplätze bereits Lösungen gefunden zu haben, denn vieles bleibt nach wie vor unklar.

 

SEV-Präsident Matthias Hartwich stellte klar, dass das Versprechen von SBB Cargo, den GAV einzuhalten, kein besonderes Entgegenkommen gegenüber den Mitarbeitenden darstellt, «sondern das Mindeste, was man von einem Unternehmen erwarten könne, das auch mit öffentlichen Geldern finanziert wird und uns allen gehört. Von einem solchen Unternehmen erwarten wir mehr Verantwortung und mehr Respekt!» (Mehr von seiner Rede in der Box.)

Ebenfalls angereist war Pierre-Yves Maillard, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Er zeigte sich beeindruckt von der Mobilisierung und Kampfbereitschaft der Tessinerinnen sowie Tessiner, wenn auch überrascht darüber, dass kein einziger Staatsrat anwesend war. Maillard empfahl SBB-CEO Vincent Ducrot, einmal ein paar Tage zu investieren, um mit den Mitarbeitenden eines von der Umstrukturierung betroffenen Terminals zu sprechen. «Denn um die Situation zu verstehen, muss man zuhören können, und oft ist die Ablehnung einer Umstrukturierung durch das Personal ein Zeichen dafür, dass diese falsch ist.»

Auch Nara Valsangiacomo, Präsidentin von Pro Alps ergriff das Wort und wies darauf hin, dass die SBB die Zunahme der Lastwagenzahl auf den Strassen als Folge ihrer Strategieänderung im Güterverkehr herunterspiele. Sie kritisierte zudem, dass 90 Prozent der Lastwagen, die die Schweiz durchqueren, zu wenig bezahlen, weil sie in die günstigste Kategorie der Schwerverkehrsabgabe fallen. Kurz: Die Strategie zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene müsse angepasst werden, aber in die richtige Richtung!

Veronica Galster
   

Matthias Hartwich am 29. August im Tessin

Der SEV-Präsident an der Kundgebung in Mendrisio gegen den Abbau bei SBB Cargo: «Heute ist ein schwerer Gang, denn es geht um mehr als ‹nur› um Arbeitsplätze – aber es geht eben auch um Arbeitsplätze. SBB Cargo sagt: ‹Wir halten uns an die Verfahren aus dem GAV.› Das stimmt, aber das ist selbstverständlich. Von einem Unternehmen, das uns allen gehört, erwarten wir aber mehr: mehr Verantwortung und mehr Respekt. Denn: Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf Schiene ist gesellschaftliches Ziel und Willen. Wir fürchten: SBB-Cargo provoziert mit ihren Entscheidungen das Gegenteil. Beim Einzelwagenladungsverkehr hat SBB-Cargo ein Konzept, das in Reduktion und Verteuerung besteht. Und beim kombinierten Verkehr streicht SBB Cargo Angebote, ohne Lösungen zu suchen – besonders schlimm für das Tessin. Unsere Kolleg:innen sagen uns: Mit diesen Massnahmen verliert SBB-Cargo strategisch die Fähigkeiten, diese Verkehre wieder zu machen.

Die Politik und das Management von SBB Cargo schieben den Schwarzen Peter hin und her: SBB-Cargo sagt: ‹Wir müssen eigenwirtschaftlich werden, also schrumpfen, sonst geht es nicht – und Verlagerung ist nicht unser Auftrag, wir sind nicht Service public.› Die Politik sagt: ‹Wir haben für SBB Cargo viel Geld gesprochen, jetzt müssen sie halt machen.› Der SEV sagt: ‹Für uns, für das Tessin und vor allem für das Personal ist egal, wer 'schuld' ist: Die Entscheidungen sind falsch, und wir fordern eine Kurskorrektur – für das Tessin, für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene, für zukunftsfähigen Güterverkehr auf der Schiene und für sichere Arbeitsplätze.›»